Wie wähle ich Stoff und Schnitt aus, damit am Ende ein Kleidungsstück entsteht, das zu mir und meiner Garderobe passt und sich auch noch gut kombinieren lässt?
Über diese Frage kannst du sehr lange sinnieren? Musst du aber nicht, wenn du die Basis für deinen Stil kennst, also die wichtigsten Bausteine oder wollen wir sie lieber Zutaten nennen?
Für ein leckeres Gericht braucht es einerseits qualitativ hochwertige Zutaten in der richtigen Menge, passende Gewürze, eine gute Kochanleitung (oder Erfahrung) und sicherlich auch noch halbwegs gute Werkzeuge und Töpfe.
So ist es doch letztendlich auch beim Nähen. Damit dir das Kleidungsstück am Ende “schmeckt”, also gerne von dir getragen wird, braucht es:
- Einen passenden Schnitt mit einer Linie, die zu deinem Körper und deinem Stil passt
- Einen Stoff in einer guten Farbe und Materialität
- Die “Gewürze”, also die passenden Details wie Knöpfe, Garn, Bänder, etc.
- Eine gute Nähanleitung oder eigene Erfahrung
Ich schlüssele mal am Beispiel meiner neuesten Jacke auf, wie ich bei der Auswahl meiner Zutaten vorgegangen bin.
Aber vorher stelle ich mich noch der Frage, ob nun Stoff oder Schnitt zuerst kommen. Das variiert bei mir. In diesem Fall lag der Stoff noch aus dem letzten Herbst im Schrank und ich wollte keinen neuen kaufen, bevor dieser nicht vernäht ist. Immerhin nehmen 2 m Wollwalk nicht wenig Platz im Schrank ein.
Auswahl des Stoffs
Den Stoff hatte ich für ein Designbeispiel fürs Cape Town vorgesehen, wir entschieden uns dann aber für die petrolfarbene Variante. Als ich den Stoff gekauft habe, war mir aber klar, dass der für mich so oder so gut geht, egal, was ich mir daraus nähe. Wenn kein Cape daraus wird, dann eben eine andere Jacke oder ein Mantel.
Die Farbe passt durch die mittlere Helligkeit und den kühlen Grauton perfekt in meine Farbpalette. Das liegt an der mittleren Farbhelligkeit, die ich von Natur aus mitbringe (Haare und Augen). Und da meine Augen sehr kühl von der Farbe sind (graublau) passt auch das Grau sehr gut. Also eine Farbe, die mir garantiert steht und die sich durch ihre Neutralität auch wunderbar mit vielen Teilen in meinem Schrank kombinieren lässt.
Wenn du deine besten Farben noch nicht kennst, dann finde es heraus! Diese werden eine super Basis für eine langlebige und vielseitig kombinierbare Garderobe für dich sein.
Du kannst sie selbst herausfinden, indem du den Farbenkurs machst oder du machst ein Farb-Fitting, bei dem eine professionelle Stylistin dir deine besten Farben in einem individuellen Farbfächer zusammenstellt.
Neben der Farbe spielen natürlich auch die Materialität und der Fall eines Stoffes eine Rolle im “Rezept”.
Für mich sind festere Stoffe grundsätzlich besser als weiche fließende Materialien. Diese hängen an meiner eher geraden schmalen Figur zu konturlos herab. Der Wollwalk passt daher schon mal gut. Außerdem erfüllt er für diese Jacke natürlich die Funktion mich zu wärmen.
Neben der Farbe und der Materialität gibt es auch noch das Kriterium des Musters. In diesem Fall hat der Stoff kein richtiges Muster, aber eine strukturierte, unregelmäßige Oberfläche, die für mich gut funktioniert, weil ich auch einen natürlichen Stilanteil habe. Genauso wie deine Farben kannst du auch deine besten Muster selbst herausfinden, wenn du einmal weißt, worauf du achten kannst. Im Musterkurs führen wir dich durch genau diesen Prozess.
Auswahl des Schnittes
Neben dem natürlichen Stilanteil, habe ich auch einen klassischen Anteil. Wenn ich also einen Stoff habe, der, wie der Walk, schon viel Natürlichkeit mit sich bringt, möchte ich im Schnitt eine klare Linienführung haben, also nichts Zipfeliges mit Kapuze, sondern einen klassischen Mantelschnitt oder eine ganz schlichte geradlinige Jacke.
Beim Durchblättern einer älteren Nähtrends Zeitschrift (Ausgabe 9/18) fand ich einen ganz einfachen Raglanschnitt für eine Felljacke. Die perfekte Basis für ein bisschen Schnittbastelei nach meinem Geschmack.
Manchmal habe ich schon ein konkretes Schnittdetail im Kopf, das ich einbauen möchte, manchmal lasse ich mich von meinem Pinterest Board inspirieren, auf dem ich schon seit Jahren Bilder sammle, die ich für meinen Stil passend finde.
Diese Sammlung erweist sich immer wieder als tolle Inspirationsquelle für mich, weil ich sofort viele passende Kleidungsstücke sehe. Du wirst sehen, dass die gewählten Fotos Kleidung zeigen, die schlicht und klar ist vom Schnitt, oftmals mit einem besonderen Schnittdetail.
Ich mag es, wenn ein Schnittmuster sehr schlicht ist, weil es wie eine Leinwand ist, auf der ich meine Ideen verwirklichen kann. Dass ich dabei auch manchmal die ein oder andere Hürde zu überwinden habe, wirst du weiter unten lesen.
Wie du deine Schnittwahl weiter fokussieren kannst für eine Garderobe, die zu dir passt, erfährst du im Schnittkurs.
Auswahl der Details
Bisher hatte ich Raglanärmel immer nur bei Oberteilen. Daher sollte es dieses Mal eine Raglanjacke werden. Um den von mir angestrebten minimalistischen Look zu erreichen, sollten eine Knopfleiste oder Reißverschluss verdeckt sein. Als besonderes Schnittdetail hatte ich mir eine große Kellerfalte überlegt, die im Rücken zum Saum hin offen aufspringt.
Ansonsten wollte ich die Jacke so schlicht wie möglich haben. Sprich, keine Knöpfe, Bänder, Schnickschnack.
Soweit der Plan!
Schnittänderungen
- Die Ärmel hatte ich erst verlängert, um dann festzustellen, dass sie doch lang genug sind.
- Die vordere Mitte habe ich sich um 5 cm überlappen lassen für eine Knopfleiste
- Das Rückenteil habe ich ca. 16 cm vom Bruch entfernt zugeschnitten, damit ich reichlich Stoff für die Falte habe.
- Die Länge des Originalschnitts habe ich gekürzt. Meine Jacke ist im Rücken ohne Kragen nur 65 cm lang.
- Da der Originalschnitt für die Felljacke keine Belege vorsieht, habe ich diese noch hinzugefügt.
- Nach dem ersten Heften und Anprobe, habe ich den Schulterabnäher des Raglanärmels noch etwas weiter abgenäht für eine schönere Passform. Der Ärmel fällt dennoch insgesamt weit aus.
Herausforderungen beim Nähen
An sich ist es ein einfach zu nähender Jackenschnitt, aber durch die Kellerfalte und das dicke Material tummelt sich an der hinteren Mitte ganz schön viel Stoff, der auch ein Gewicht hat. Deswegen habe ich am Kragenansatz auf einen Beleg verzichtet und den Futterstoff direkt angenäht. Die Absteppnaht ist nicht so schön im Futter, aber sie musste sein, um die ganzen störrischen Nahtzugaben etwas zu bändigen.
Der größte Hirnknoten ergab sich für mich allerdings am hinteren Saum. Ich wollte, dass die Kellerfalte so schön liegt wie bei dieser Jacke, die quasi die Vorlage war.
Allerdings war mein Schnitt im Hüftbereich zu eng. Die Kellerfalte sollte durch die zusätzliche Weite Abhilfe schaffen. Ich hatte jedoch nicht bedacht, dass diese dann aufspringen muss aufgrund der fehlenden Weite. Das sah dann zwischenzeitlich wie ein Entenbürzel aus. Wer will das schon?
Ich hätte den Grundschnitt schon weiter machen müssen, um dann erst die Kellerfalte hinzuzugeben. Daran habe ich im Eifer des Gefechts einfach nicht gedacht.
Letztendlich habe ich die Kellerfalte am Saum zugenäht, um dafür im Gegenzug mehr Spiel am Vorderteil zu geben, indem ich die Jacke statt mit 3 Knöpfen nur mit einem schließe. Dadurch habe ich die nötige Bewegungsfreiheit mit dem Nachteil, die Jacke nicht komplett schließen zu können. Sie ist damit also gut für milde Übergangstemperaturen, aber eben keine richtige Herbst- oder Winterjacke.
Fazit
Aus Fehlern entstehen manchmal die besten Details an einem Kleidungsstück. Nicht immer, das gebe ich zu, aber immer lernt man etwas daraus!
Ich mag die Jacke auf jeden Fall und freue mich auch über das Feedback dazu auf Instagram. Dort zeige ich sie in Bewegung in einem Reel (Instagram Videoclip).
Mein Rezept ist aufgegangen. Ich habe die Zutaten gut “abgewogen” und darf mich nun über eine super Jacke für mich freuen.
Mir hat das Freestyle Nähen wieder sehr viel Spaß gemacht. Einfach mit einer Idee zu starten und dann zu sehen, was daraus wird, brauche ich ab und zu. Das regt die Kreativität an. Und aktiviert den Nahttrenner. Den Part würde ich natürlich gerne jedesmal überspringen, aber das gehört nun mal dazu.
Den Schnitt werde ich auf jeden Fall noch einmal nähen! Der kann auch gut zum Blouson abgewandelt oder mal zum Mantel verlängert werden.
Apropos Mantel: Nachdem ich den grauen Walk vernäht hatte, konnte ich mir grünes Licht für einen neuen Stoff geben. Ich habe mir bei einem Stadtbummel einen Lila Mantelstoff bei Haute Couture Stoffe Möller in Berlin gekauft. Perfekt für den kommenden Mantel-Sew-Along im November, der im Näh deinen Stil Club stattfinden wird!
Darauf freue ich mich schon.
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